Wo komme ich her?

Autor: Sina Klausnitz  Profil   Nachricht Bitte einloggen, um Sina Klausnitz eine Nachricht zu schreiben.
Hin und wieder wird in der Taverne ein Thread eröffnet, der sich mit der Erforschung der eigenen Vorfahren beschäftigt. Um allen Interessierten ein paar mehr Informationen zu geben, habe ich versucht, erste Hilfestellungen ähnlich einem KitGuide zusammenzustellen. Dies soll nur eine erste Einführung sein, einzelne Forschungen oder auch Anfragen können hier nicht behandelt werden.
Genealogie ist eine anerkannte Hilfswissenschaft wie zum Beispiel auch die Numismatik und Heraldik und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Erforschung der eigenen Familiengeschichte oder der Familiengeschichte berühmter, bekannter oder interessanter Personen der Geschichte. Je nach persönlicher Interessenlage kann man sich ausschließlich mit seinen direkten Vorfahren oder mit den Familien der direkten Vorfahren oder aber mit der gesamten Familiengeschichte befassen. Der Umfang dieser Forschungen ist jedem selbst überlassen, je nach dem auf welche Punkte man besonderen Wert legt. Es ist letztendlich Geschichtsforschung im kleinen. Neben den bekannten Stammbäumen können auch für ganze Ortschaften die Familien eines bestimmten Zeitraumes erforscht und so Ortsfamilienbücher erstellt werden. Die Ergebnisse einer Familiengeschichte können zur Auswertung unter historischen, soziologischen oder zum Beispiel auch medizinischen Gesichtspunkten herangezogen werden. Teilaspekte solcher Auswertungen können Fragen nach der Kinder- und Frauensterblichkeit in einzelnen Familien, das Erbrecht, die Abhängigkeitsverhältnisse, die Weitergabe von Berufen oder auch Wanderungsbewegungen sein.
Bevor man mit der Erforschung seiner Familiengeschichte beginnt, sollte man sich darüber im klaren sein, daß dies ein Hobby mit sehr hoher Suchtgefahr ist und man sich nur selten wieder lösen kann.
Nun meine Ratschläge als langjähriger Familienforscher für Interessierte und Neuanfänger:
Genealogie = Familienforschung ist eine (Hilfs)Wissenschaft und wissenschaftlich korrektes Arbeiten sollte selbstverständlich sein. Dazu gehört auch die genaue Unterscheidung von Primär- und Sekundärquellen, wobei zu jedem Fakt einer Familiengeschichte genau anzugeben ist, woher die Daten stammen. Jede Angabe zu einer Person ist als Fakt zu bezeichnen, so daß der Quellennachweis für eine einzelne Person schon ganz schön umfangreich werden kann.
Ehrlichkeit gegenüber anderen Forschern sollte gleichfalls so selbstverständlich sein, daß man also Ergebnisse anderer Forscher nicht für seine eigenen ausgibt.
Nicht jeder, der sich mit Familienforschung beschäftigt, kann zu seinen Vorfahren eine berühmte Persönlichkeit, einen Adligen, Künstler oder auch Straßenräuber zählen. Entsprechend der Bevölkerungsgliederung in den früheren Jahrhunderten ist die Wahrscheinlichkeit am größten, daß man in seinen Vorfahren hauptsächlich Bauern und kleine Handwerker hat. Schon der „Aufstieg“ in das obere Bürgertum der Städte, ins Bildungsbürgertum oder unter die Geistlichkeit sind relativ selten und vom Forscher durch die bessere Quellenlage als Glücksfall zu werten. Allgemein setzt die schriftliche Ãœberlieferung erst ab Mitte des 16.Jahrhunderts ein, so daß in den meisten Fällen in einer Familie um 1550 Schluß ist, selten kann man die Daten noch vor 1450 erschließen. Geschichte vom versoffenen Adelstitel kursiert in sehr vielen Familien und entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als absolut nicht haltbar.
Wer jedoch wirklich in adlige Kreise vorstößt, der kann sich meist auf eine gute Quellenlage und vor allem schon gut erforschte Familienzweige freuen. Auch für bestimmte historische Personen wurde in der Vergangenheit bereits durch die unterschiedlichsten Forscher sehr viel geleistet, so daß man hier gute Anknüpfungspunkte bekommen kann – zum Beispiel Karl der Große, Martin Luther, Adam Ries. Jedoch gilt besonders für die adligen Vorfahren, daß man oft zwischen Legende und Wahrheit nicht mehr unterscheiden kann. Sollte man in irgendeiner Hinsicht Zweifel hegen, so sollte man auch die Nachkommenschaft zum Beispiel auf Karl den Großen oder die Merowingerkönige oder oder oder … immer mit einem Augenzwinkern präsentieren und nicht als alleinige Wahrheit.
Erstes sollte man also nicht den Grafen oder Patrizier in seiner Familie suchen, sondern mit seinen Eltern und Großeltern und deren Eltern und Geschwistern anfangen. Vielleicht lebt noch eine alte Tante oder ein alter Onkel, die befragt werden können. Alle alten Fotos und Dokumente sind es wert aufgehoben zu werden. Oftmals existieren in den Familien noch die Ahnenpässe aus der Nazizeit, diese sind trotz aller ideologischen Probleme (siehe Nachsatz) eine gute Ausgangsbasis für erste Forschungen.
Primärquellen für den Familienforscher sind vor allem die Kirchenbücher, aber auch Steuerlisten, Zinsregister und Gerichtsbücher. Die Kirchenbücher liegen meist noch in den entsprechenden Kirchgemeinden und Pfarrämtern und sind in einem sehr unterschiedlichen Zustand erhalten. Die anderen Quellen sind über die Stadtarchive oder auch Staatsarchive einzusehen – oftmals schon als Verfilmungen. der Nutzung der Primärquellen sollte man sich immer bewußt sein, daß man das unersetzliche Original in den Händen hält und sich entsprechend verhält. Jede Beschädigung oder Entwendung verbietet sich von selbst. Zugang zu den staatlichen oder kommunalen Archiven ist in den meisten Fällen relativ problemlos möglich, kann jedoch durchaus kostenintensiv sein.
Bei den Pfarrämtern und Kirchgemeinden ist dies anders und hier ist besondere Feinfühligkeit im Umgang miteinander gefordert. Die Hauptaufgabe eines Pfarrers oder auch Gemeindemitarbeiters besteht ausdrücklich nicht darin, für Privatpersonen nach irgendwelchen, schon Jahrhunderte toten Leuten zu forschen. Wer das Glück hat und findet einen Pfarrer/Gemeindemitarbeiter, der die Forschungsarbeit erledigt, sollte sich auf eine Gebührenrechnung gefaßt machen und diese dann auch ohne Murren bezahlen. Wesentlich besser ist es, selbst in den Pfarrämtern zu forschen, was nur in wenigen Ausnahmen nicht ermöglicht wird. Auch hier sind jedoch wieder die Prioritäten des Gemeindelebens zu beachten – also zum Beispiel Terminwahl nicht vor den Feiertagen u.ä. Gleichzeitig sollte man sich vorher über die Gebührenordnung der jeweiligen Landeskirche oder Bistums erkundigen, damit man keine Phantasiepreise für die Einsichtnahme bezahlt. Es kommt auch vor, daß nur eine Spende gewünscht wird, die man dann großzügig (man könnte ja wiederkommen) leisten sollte. Einsichtnahme in die Quellen gehört auch, daß man sich mit den alten Schriften auseinandersetzt. Es ist sehr störend, wenn der Archivbetreuer nahezu jedes Wort für einen „Forscher“ entziffern muß. Hier macht wirklich Ãœbung den Meister.
Im Rahmen seiner Forschungen sollte man sich auch mit der Regionalgeschichte auseinandersetzen. Zum Beispiel sind in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges viele Kirchenbücher und andere Regesten nicht geführt bzw. vernichtet worden, so daß es hier zu unüberbrückbaren Lücken kommen kann. Brände, Kriege, Aufstände, Naturkatastrophen, aber auch Ein- und Auswanderungswellen sollte man bei der Forschung durchaus immer im Hinterkopf haben.
Die Anschaffung eines speziellen Computerprogramms ist nach meiner Auffassung absolut lohnend. Dabei sollte man von vornherein das Geld in ein wissenschaftliches Programm investieren. Aus meiner Sicht zu empfehlen sind Gen-Profi, Gen-Plus, Omega, Gen2004, wobei ich keine Wertung geben möchte. Diese Programme sind zwar relativ kostenintensiv, lohnen dies aber durch die wissenschaftliche Arbeitsweise.
Aus meiner Sicht weniger zu empfehlen sind die vielfältigen amerikanisch geprägten Programme, bei denen es mehr auf die Präsentation eines Stammbaumes ankommt, als auf die Sammlung und vielleicht Veröffentlichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Grundsätzliches Leistungsmerkmal eines Programms sollte der GEDCOM-Export/Import sein, um einen Austausch der Daten zu ermöglichen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, daß man nie das perfekte Programm findet, sondern immer Kompromisse schließen muß.
Familienforschung beruht zum großen Teil auch auf dem Austausch mit anderen Forschern. Deshalb mein Rat, in einen der vielen regionalen oder überregionalen Vereine einzutreten und sich dort auch zu engagieren. Ihr werdet feststellen, daß Genealogie überwiegend das Hobby pensionierter Männer ist, die jedoch virtuos mit Computer, Datenbankprogrammen und Internet umgehen können. Der uneingeschränkte und uneigennützige Austausch mit anderen Forschern sollte für jeden selbstverständlich sein (Nur im Geben erwirbt man sich das Recht zum Nehmen). Dazu gehört auch Kosten- und Portoersatz. Das Internet ist eigentlich zu der größten Sekundärquelle geworden, die man für seine Forschungen auch nutzen sollte. Dabei kann man einerseits Daten abrufen, zum anderen jedoch vor allem Kontakte knüpfen oder auch vieles recherchieren. Gerade die Homepage bietet ein sehr breit gefächertes Angebot an Links zu privaten und kommerziellen Anbietern, so daß hier an dieser Stelle eine Linkliste eingespart werden kann. Internet ist unter auch die genealogische Datenbank der Mormonen in Salt Lake City abzurufen, die in Eigenwerbung als die weltweit größte genealogische Datensammlung gilt. Nach den religiösen Vorstellungen der Mormonen werden auch die Vorfahren im Glauben getauft, so daß man bemüht ist, so viele Vorfahren als möglich zu finden. Da die Forschungen von Amerika aus betrieben werden, sollten alle Daten mit äußerster Vorsicht übernommen und entsprechend gekennzeichnet werden. Eine Nachüberprüfung und eventuelle Korrektur sind immer angeraten. Durch die Mormonen wurden unter der oben genannten Voraussetzung auch viele Kirchenbücher verfilmt. Diese Filme können in den unterschiedlichen Zentren auch hier in Deutschland eingesehen werden. Wer das möchte, sollte mit einem Mormonentempel oder Begegnungszentrum in seiner Nähe Kontakt aufnehmen.
Was man vermeiden sollte:
Hast –- die Leute sind schon alle viele Jahrzehnte und Jahrhunderte tot.
„freier“ Umgang mit Quellen und Forschungsergebnissen anderer. Kommerzielle Anbieter von Genealogien. Auch es wenn auf manchen Märkten Leute gibt, die versprechen, alles über Deine Familie oder Deinen Namen zu wissen – das ist über sehr weite Bereiche Phantasie und hat mit wissenschaftlicher Forschung nichts zu tun. Hierzu gehören auch Publikationen des Steinadler – Verlages, über den man unter gleichfalls unter recherchieren kann.
Phantasieforschung mit dem Ziel, unbedingt von diesem oder jenem Adelsgeschlecht oder Künstlergeschlecht abstammen zu wollen. Familiengeschichte kann sich schnell zur Büchse der Pandora entwickeln und man ist plötzlich nicht mit Johann Sebastian Bach, sondern mit Nazigrößen oder einem südamerikanischem Diktator verwandt.
Noch ein Nachsatz:
Genealogie hat in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts einen sehr hohen Aufschwung genommen. Neben vielen, heute unersetzlichen Datensammlungen entstanden dabei aber auch die ideologischen Grundlagen für Rassengesetze und Völkermord. Wenn man sich heute mit Familiengeschichte beschäftigt, muß man sich auch diesem äußerst problematischen Kapitel der Wissenschaftsgeschichte stellen. Bei allen eigenen Forschungen, die man heute betreibt, kommt es auf gar keinen Fall an, eine Höher- oder Minderwertigkeit von anderen Menschen, anderen Familien, anderen Völkern und anderer Religionen zu belegen. Auf Grund der Quellensituation recherchiert man oftmals in Materialien, die in den 1930er Jahren entstanden sind – zum Beispiel Ahnenpässe, Urkundenabschriften etc. und die die entsprechende Symbolik tragen. Es gehört zum guten Ton in Forscherkreisen, diese Dokumente nicht für eine Veröffentlichung oder Weitergabe vorzusehen, sondern nur die Daten zu entnehmen und diese dann entsprechend aufzubereiten.
Familienforschung ist Geschichtsforschung im ganz kleinen und wie so viele Dinge besitzt auch sie eine helle und eine dunkle Seite mit vielen dazwischen liegenden Abstufungen. Frei zitiert gilt jedoch auch hier:
Nur wer die Vergangenheit kennt – kann die Zukunft gestalten.

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