Medizin im Mittelalter

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Inhalt
1 bluot stellung
1.1 fur das blut
1.2 Gegen Bluten der Nase und der Wunde
2 die wunt meler zu vertreiben
2.1 contra vermes
2.2 Gegen Würmer
3 brandwunden
4 pfeilwunden
4.1 Ein segen, eine pfeile mit auß zu ziegen.
5 schusswunden
6 verrenkungen, knochenbrüche etc.
7 bisswunden
8 epilepsie
9 herzschmerzen
10 die geburt
11 "was nicht tötet, härtet ab!"
»Der Arzt, welcher die Heilkräfte der Wurzeln und Kräuter kennt, ist ein Mensch;
der, welcher die des Wassers und Feuers kennt, ein Dämon;
wer die Kraft des Gebetes kennt, ein Prophet;
des Quecksilbers, ein Gott.«

aus der »Rasaratna Samoclayem«
WARNUNG: Die in diesem Artikel angeführten Maßnahmen wurden im Mittelalter angewandt, aber ihre medizinische Wirksamkeit ist unter heutigen Gesichtspunkten fraglich. Die Nachahmung kann zu Vergiftungen, schweren Verletzungen oder der verzögerten Heilung von Wunden führen und sollte daher vermieden werden… don’t try this at home.

1 bluot stellung

Aderlass
Aderlass
Morunc stöhnte leise, während sich sein Gefährte die klaffende Wunde besah, die ihm von der Klinge eines Wegelagerers zugefügt worden war. Es war ein glatter Schnitt am linken Unterarm, nicht tief, doch hatte er eine Vene getroffen, so daß nun einiges Blut daraus hervorsickerte. Sein heilkundiger Freund nahm unterdessen seinen Rucksack zur Hand und entnahm daraus ein Stück Leinentuch, das er mit Wein tränkte und auf die Wunde legte. Sofort verspürte Morunc die wohltuende Kühle des Umschlags. Auch der Blutfluß nahm etwas ab. Daraufhin nahm er ein wenig Honig und das Eiweiß eines Gänseeis, das er kürzlich im Gras gefunden hatte, und vermengte beides auf einem Stückchen Hanf. Das so hergestellte Pflaster ersetzte das Tuch, als es unter ständigen Beschwörungsformeln über die Wunde gebunden wurde.
Dies ist dies nur ein Rezept von vielen, die der Heiler von Welt zur Anwendung bringt. Wenn wir einen tieferen Blick in seinen Rucksack werfen, werden wir zur Blutstillung Tupfer, die in die Wunde hineingepreßt werden, Nadeln zur Umstechung, Faden zur Unterbindung und ein Glüheisen zur Zerkochung der blutenden Gefäße finden. Bei Amputationen wird auch siedendes Öl angewandt. Als “Desinfektionsmittel” bietet sich außer Wein auch Terpentinöl oder Rosenwasser an, und zur Blutgerinnung haben wir verklumpende, verklebende oder verätzende Substanzen wie z.B. Eiweiß, Honig, Mehl, Butter, Kupfervitriol und ungelöschten Kalk. Sicher bringen diese Mittel eine Blutung zum Stillstand, aber die Narben werden durch manche umso größer (“Narben sind männlich”). Mit dem nötigen Kleingeld kann man sich seine Wunde auch mit gewichsten Fäden nähen lassen, während das ärmere Volk solche Heilmethoden nicht genießt (“Bauern sind eh’ häßlich!”).
Da Moruncs Heiler ein weiser Mann war, besprach er die Blutung mit einem Segen, was bestimmt auch psychologische Effekte beim Patienten zeigte. In diesen Zaubersprüchen werden für gewöhnlich mystische Begebenheiten zitiert, wonach auch in diesem Fall Linderung eintreten muß! Früher wurden dabei die heidnischen Gottheiten angerufen, doch mit der zunehmenden Christianisierung müssen für die Analogien im Mittelalter meist Heilige herhalten:


1.1 fur das blut

Heilung des verletzten Beins des Königs Anfortas durch Auflegen des He
Heilung des verletzten Beins des Königs Anfortas durch Auflegen des He
Ob du daz blut wellest versprechen daz da vliuzet [fließt] vz den wunden oder der nasen so lege diu hand druber und sprich: In nomine patris et filii et spiritus sancti Amen. Sanctus helyas saz in heremo [Wüste] vnd floz im daz blut zebeiden naslocheren vz - da begunde er zerufen vnseren herrengot an vnd sprach: herregot hilf mir vnd betwinch [bezwinge] das blut daz es geste [gestehe] als du betwenge den iordan daz er gestunt da dich sant Johans drauz tauft vn sprich dri paternoster.
Dasselbe, nur mächtiger, da in Reimform geschrieben:
Dere heiligo Christ war geboren ce [zu] Bethlehem,
dannen quam er wiedere ce Jerusalem,
da wart er getaufet vone Johanne
in deme Jordane.
Duo verstount der Jordanis fluz
und der sind runst. [Strömen des Flusses]
Also verstant du blout rinna
durch des heiligen Christes minna. [hier: Andenken]
Du verstant an der note [in der Not]
also der Jordan tate, duo der guote sce [St.] Johannes
den heiligen Christ taufte.
Verstant, du bluotrinna,
durch des heiligen Christes minna.
Oder ein anderer Blutsegen, bei dem durch die Analogie alpha = Anfang und omega = Ende des griechischen Alphabets auch dem Blutfluß ein Ende gemacht werden soll:
Das plùt verstellen. Item ob einem menschen das plùt nit versten [gerinnen] will, so schreib an ein zetel: alpha et o und pint des dem plùtenden menschen an die stiren, es verstet pald darnach.
Bei Nasenbluten werden kühlende Umschläge mit Dill und der doppelten Menge Schafgarbe auf Stirn, Schläfen und Brust gelegt. Die Kräuter sollen möglichst frisch sein, damit ihre Wirkung besonders ausgesprochen wird (“Die Trockenheit und die Kälte des Dills löscht die Hitze des Blutes aus, und die Wärme der Schafgarbe zieht das Blut an sich und hält dessen übermässiges Fließen zurück”). Im Winter nimmt man pulverisierte Zutaten mit Wein besprengt und gibt sie in ein Säckchen auf besagte Stellen. Auch kann man die Nasenlöcher mit Nesselwasser einreiben (“gleich hört es auf”), oder für die eher Abergläubischen:


1.2 Gegen Bluten der Nase und der Wunde

Zur Frühjahrszeit, wenn Du erstmals den Wasserfaden siehst, so nimm, wenn sie abgerissen ist, den Schleim, und wasche damit gut die Hände, dann lasse es, bis sie trocken sind, und nachher wasche die Hände wieder, und wenn das Blut fließt, so gib nur diese Hand auf die Herdplatte, bis sie sich erwärmt; dann geht es gleich vorüber.

Das ist die Lehre des Herrn Peter von Wrzesowitz auf Ploschkowitz.
Gegen Entzündungen und Hautkrankheiten kommen vor allem oben genannte Ätzmittel zur Anwendung (Wein, Salz, Terpentinöl, Wermutwasser, Kupfervitriol, ungelöschter Kalk, Arsenik, Schwefel und Quecksilber).
Zum Heilen alter Wunden empfiehlt der Heilkundige ölige Salben aus Olivenöl, Kupferoxid, Bylharz, Mastix, Lorbeeröl, Ammoniakharz, Klauenfett, Wachs, Hirschtalg, Rindermark, Bärenschmalz, Kampfer, Lavendelöl, Myrrhe, weißen Weihrauch, Zinnoxid, Bleiglätte oder Bleiweiß in verschiedenen Zusammensetzungen.


2 die wunt meler zu vertreiben

Gegen Spulwürmer trinkt man Fenchelwasser; zum Vertreiben der Mehlwürmer bereitet man eine Salbe aus zerstoßener Bleiglätte, zusammen mit Essig und Rosenöl (“Die ding dilgent die wuntmeler, eintziglich oder miteinander, vnd machent sie clein oder subtill”).

wiltu den wurm seyn sprechyn, so sprich:
Der wurme woryn dry, dy sente Job [St. Jacob?] bissyn, der eyne der was wys, der andir swarcz, der dritte rot. herre enste Job, lege der wurme tot! + obtrayson + magula Job connubia malagula + zarabuntis + in nomine patris + et filij + et spiritus sancti + amen.
Gegen die Würmer wendet sich auch der älteste überlieferte deutsche Zauberspruch, der althochdeutsche Wurmsegen (9. Jhd.), mit dem Pferde besegnet wurden:


2.1 contra vermes

Gang ut, nesso, mid nigun nessiklinon, ut fan demo marge an that ben, fan themo bene an that flesg, ut fan themo flesge an thia hud, ut fan thera hud an thesa strala! Drothin, werthe so!


2.2 Gegen Würmer

Geh hinaus, Wurm, mit neun kleinen Würmchen, hinaus von dem Mark an die Knochen, von den Knochen an das Fleisch, hinaus von dem Fleisch an die Haut, hinaus von der Haut an den Strahl! Herr, es werde so!

Der Strahl ist ein antiquierter Begriff für die Hufsohle des Pferdes; der Huf kann dann aufgeweicht und die Sohle mit den Würmern entfernt, “ausgeworfen” werden.


3 brandwunden

Bei dem weitverbreiteten Einsatz des Glüheisens und siedenden Öls waren Brandwunden keine Seltenheit. Sie wurden behandelt mit Teilen des Wacholders, ungesalzenem Schweineschmalz und einem Ei; diese Mischung wird gerührt, gekocht und in eine Schale gegossen, woraufhin die festen Bestandteile als Brandsalbe verwendet werden.


4 pfeilwunden

Beim Entfernen von Pfeilen wurde dem getroffenen Körperteil eine der bei der Verwundung möglichst ähnliche Lage gegeben und die Geschosse (“nicht zu früh!”) durch Herausziehen, Ausschneiden oder Durchstoßen (“Urglll”) beseitigt. Die größten Pfeilspitzen maßen dabei etwa 2-3 Zoll, wobei manche nur als Hülse für einen zweiten dienten und beim Ausziehen steckenblieben, während andere Widerhaken besaßen oder so lose am Schaft befestigt waren, daß nur dieser entfernt wurde. Manche Pfeile waren mit “Helenium” oder “Ninum” vergiftet.

Wen wundert es da, daß während des Ausziehens eines Pfeiles drei Vater-Unser oder “Nicodemus zog die Nägel aus den Händen und Füssen des Gekreuzigten” gebetet oder folgender Segen gesprochen wurden:


4.1 Ein segen, eine pfeile mit auß zu ziegen.

Sprich dise nachgeschrieben wordt drew mole vnd greiff mit den zwaien fingern, die bei den zwaien klain fingern am nechst sten, zihe dan mit diesen fingern. Er gedt an wethumb [wie folgt]. Christus ward geborn an wol vnd an wehe. Also wor muß dieser pfeile rausgen. Im namen des vatters vnd des suns vnd des hailigen gaists Amen.

P.h.A. thöringer
Sollte Dein Pferd vom Pfeil getroffen worden sein, so stoz einen chrevzzen [Krebs] mit hasen smaltz und pint imz auf dy wunden: so zeucht [zieht] iz den pheil uber nacht aus. Armes Pferd.


5 schusswunden

Wer mit dem Gebrauch von Schußwaffen zu rechnen hat, der sollte nicht versäumen, einen Segen gegen das Getroffenwerden zu sprechen (etwa “Herr, beschütze mich vor allen bösen Schützen”), bevor er sich aus dem Haus traut. Wenn man erst angeschossen worden ist, nimmt man Rotwein mit darin gelöstem Johannisbrot, es haylet pain vnd fleisch on schaden. Der Badermeister hans frantzos empfiehlt Leinsamenöl mit ein wenig Drachenblut (“gerade so, daß es rot werde”) warm auf die Wunde zu legen. Hierbei ist leider kein echtes Drachenblut gemeint, obwohl eine Queste zum Erhalt des Blutes auch sehr reizvoll wäre, sondern leider nur das Gummiharz von Daemonorops draco bl. Gegen Schußwunden in den lyb ist man ziemlich machtlos, man versucht lediglich, durch ein Opiat-Gebräu die Schmerzen zu nehmen.

Brust- und Bauchwunden sind meist tödlich. Wenn das Herz getroffen wurde, ist ohnehin Schluß, doch auch bei anderen Verletzungen sterben die Patienten spätestens durch die Infektion des Bauchfells, die sie sich beim Wiederhereinstopfen der Leber, der Gedärme “und andern edlen Theilen” geholt haben. Auch kann man dadurch verbluten, d.h. an einem Schock sterben, da man auf eine eintretende Ohnmacht nicht weiter achtet, sondern bestrebt ist, die Bauchwunde weiter nach außen bluten zu lassen, bis es “aufhört, wie aus einer Röhre zu fließen”, es soll bloß nicht im Bauche gerinnen. Dann wird die Wunde abgedeckt (und wahrscheinlich auch der Patient).


6 verrenkungen, knochenbrüche etc.

Einrenken der Schulter
Einrenken der Schulter
Verrenkungen werden mit komplizierten Apparaturen wieder eingerenkt, so wird z.B. jemand mit einer Ausrenkung des Kniegelenks an den Füßen aufgehängt… Sollte dies häufiger vorkommen, so wird auch hier das Glüheisen angewandt. Gegen Verrenkungen ist auch der recht bekannte zweite Merseburger Zauberspruch (10. Jhd.):
Phol ende Vvodan vuorun zi holza do wart demo Balderes volon sin voz birenkit thu bigvolen Sinthgunt sunna era suister thu bigvolen Frua Volla era suister thu bigvolen Vvodan so he vuola conda sose benrenki sose bloutrenki sose lidirenki ben zi bena blout zi blouda lid zi geliden sose gilimida sin
Darin wird beschrieben, wie die beiden Götter nebst Gefolge in den Wald ausritten und sich das Pferd des Balderes den Fuß verrenkte. Unter Anrufung verschiedener Gottheiten wird die Luxation geheilt (Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Glied).
Auch die Knochen brach man sich damals des Öfteren. In solchen Fällen werden diese vom Wundarzt (oder Bader oder Scharfrichter) reponiert, d.h. in ihre ursprüngliche Stellung zurückgeschoben, mit einer Salbe (s.o.) bestrichen und mit Leintüchern, die mit Eiweiß bestrichen waren, dick umwickelt, wodurch eine gewisse Festigkeit erreicht wurde. Wegen der Schwellung gebrochener Glieder erfolgt eine Schienung erst am siebenten Tage. Bei Brüchen des Oberschenkels hielt man es für das geringere Ãœbel, wenn beide Oberschenkelknochen gleichzeitig gebrochen waren, da man davon ausging, daß sie nur unter Verkürzung der Extremität heilten. Rippenbrüche sind Lappalien, solange sie keine inneren Verletzungen bewirkt haben.


7 bisswunden

Wer von einem tollwütigen Hund oder anderen Bestien gebissen wurde, soll die Wunde zum Bluten bringen, so daß das Gift ausströmt. Dazu kann man sie aufschneiden, mit Schröpfköpfen oder Hörnern aufschaben oder Blutegel aufsetzen. Danach macht man ein Pflaster aus Nesselwasser, Honig, Knoblauch, Salz, zermahlenen Nüssen, Pfefferminze, Butter oder dem Hirn eines Huhnes. Gegen Hornissen-, Wespen- oder Bienenstiche legt man einfach kalten Stahl auf die Schwellung.


8 epilepsie

Gegen das “fallende Leid” gab es, außer einer cholesterin- und alkoholarmen Diät, ein schönes Rezept, das sehr gut die damalige Denkweise verdeutlicht und das ich trotz seiner Länge nicht vorenthalten möchte:

Man nehme Maulwurfsblut und trockne es, außerdem den Schnabel einer weiblichen Ente und die Klauen einer ebenfalls weiblichen Gans ohne Haut und Fleisch und schabe dies zu Pulver (Verhältnis Maulwurfsblut zu Entenschnabel zu Gänseklaue = 4:2:1). Dieses in ein Tuch gebunden soll drei Tage lang an einer Stelle liegen, an der ein Maulwurf kurz zuvor die Erde aufgestoßen hat. Danach legt man es auf Eis, so daß es gefriert und läßt es dann in der Sonne trocknen. Dann nimmt man ein Stück Leber “irgendeines zur Nahrung dienenden Tieres” und formt daraus mit Weizenmehl kleine Kuchen, wobei mehr Leber als Pulver vorhanden sein muß. Das ganze verzehrt man fünf Tage lang, und wenn es nicht wirkt, bis zu fünf Wochen. Das klingt schon sehr abenteuerlich, die Begründung ist es aber noch mehr:
“Weil nämlich der Maulwurf nur manchmal sich zeigt, dann aber wieder sich verbirgt, und weil er in der Erde zu graben pflegt, widersteht sein Blut dieser Krankheit, die auch zeitweilig sich bemerkbar macht und ebenso wieder verschwunden ist. Weil ferner die Stärke der Ente in ihrem Schnabel liegt und sie mit ihrem Schnabel Reines und Unreines berührt, widersteht auch dieser der Krankheit, die plötzlich auftritt und sich dann wieder ruhig verhält. Ebenso beruhigen die Gänseklauen, die von Wasser umspült werden und ebenfalls alles Unreine berühren, die Schmerzen dieser Krankheit, weil diese Krankheit häufig mit der Gicht zusammen ausgelöst wird. Der Schnabel wie auch die Zehen sollen von einem Weibchen stammen und nicht von einem Männchen wegen der Schweigsamkeit jenes, weil auch die Frau schweigsamer ist als wie der Mann, wie auch diese Krankheit sich ruhig verhält bis zu der Stunde, wo sie den Menschen niederwirft (der Autor dieses Rezeptes war eine Frau…). Alles zusammen gemischt soll aber deshalb an die Stelle gelegt werden, wo der Maulwurf gestoßen hat, weil da die Erde heilkräftiger ist als anderswo, damit es dort seinen Saft und seine Lebenskraft mit dem Saft und der Lebenskraft aus der Erde erhalte. Auch wird es zunächst von Erdsaft durchdrungen und dann auch durch die Kälte des Eises zusammengezwungen, damit das Widrige, was in ihm steckt, unterdrückt werde. Weiterhin soll es an der Sonne ausgetrocknet werden, damit, falls noch irgend etwas von Widrigem in ihm zurückgeblieben ist, dies durch die Sonnenhitze entfernt werde. Die Lebern der vierfüßigen wie auch der fliegenden Tiere sollen deshalb mit Weizenmehl zusammen verarbeitet werden, weil die Lebern trocken sind, ihre Eigenkraft von der Erde her besitzen und die Unsauberkeit an sich ziehen. Mit der Wärme und der Kraft des Weizenmehls vereint sollen sie die dieser Krankheit eigenen schlechten Säfte herausziehen, und der Kümmel kommt dazu, weil er mit seiner Kälte die unrechten Gluten dieser Krankheit bändigt.”


9 herzschmerzen

Aderlass
Aderlass
Hierunter fällt nicht nur der Herzinfarkt, sondern auch das Völlegefühl, Ãœberanstrengung, Herzklopfen oder Lebererkrankungen (“die Leber versorgt das Herz mit Blut”). Dagegen helfen Muskat, Gold, Margariten, Perlen, “Knochen des Herzens eines Hirsches” oder Amber. Gegen einen Herzinfarkt hilft die Muskatblüte und Freude zusammen mit Gottesfürchtigkeit, und man bewahre sich vor Nachdenklichkeit - gar nicht so übel. Bei Asthma, worunter so ziemlich alles fällt, was mit Atembeschwerden zu tun hat, soll man Salben und Sirup anwenden und sich vor Käse, Nüssen oder Brotkruste hüten.
Sollte jemand Magenschmerzen oder Brechreiz haben, so heilt man es “inwandig” durch Wermutwasser oder Salbei, süßen, leichten Wein, Olivenöl und Butter oder mit Kümmel, Pfeffer, Bibernell, Weizenmehl, Wasser und Eidotter gebackene Kuchen.
Wenn jemand Blut erbricht, so hilft u.a. der Aderlaß am Daumen der rechten Hand. Der Aderlaß ist überhaupt das beliebteste Heilmittel im Mittelalter: Er hilft gegen allerlei Unwohlsein, so ziemlich alle Krankheiten und sogar gegen die gefürchtete Pest! Man hat viele Aderlaßvorschriften, worin genau beschrieben wird, wann man zur Ader lassen soll (nämlich höchstens alle drei Monate, mindestens einmal jährlich), wer in welchem Alter bei welchen Beschwerden wo zur Ader läßt und was man bei Blutungen oder “so einem die adern geswillet” unternimmt. Es ist üblich, im Bade stehend bei gesunden Erwachsenen “so viel, als ein durstiger Mann an Wasser in einem Zuge trinken kann” zur Ader zu lassen, damit die schlechten Säfte von den guten geschieden werden.
Dazu muß man wissen, daß man den vier Elementen durch das ganze Mittelalter hindurch die vier “Körpersäfte” Blut, “gelbe Galle”, “Schwarzgalle” und “Schleim” zugeordnet hat, die für die “vitriolischen”, cholerischen, melancholischen und phlegmatischen Gemütszustände stehen. Mit der Zeit überwiegt die Schwarzgalle, so daß man krank wird, wenn man nicht jährlich zur Ader läßt. Die Körpersäfte kann man “eindeutig” erkennen, wenn man das gerinnende Blut betrachtet: In der Mitte einer Blutlache ist das rote Blut, am Rande das gelbliche Blutplasma, obenauf das geronnene, schleimige Blut mit Grindbrocken darin, der Schwarzgalle.
Frauen müssen bis ins hohe Alter und häufiger zur Ader lassen, “da sie durch den Sündenfall belastet sind, wie sich alleine schon an der Notwendigkeit der monatlichen Reinigung zeigt” (auch dies hat eine Frau geschrieben, allerdings eine Heilige). Man muß nur aufpassen, daß man spätestens damit aufhört, wenn der Patient in Ohnmacht fällt: “Es ist nit gût zu schertzen, du zeugst menchem mit dem blût das leben herauß, der vielleicht noch lenger het moegen bleiben.


10 die geburt

… war damals wie heute ein ganz natürlicher Vorgang, bei dem der Heiler nur unterstützend und bei Geburtskomplikationen eingreifen mußte. So hilft gegen die Eklampsie (Krampfanfälle während der Schwangerschaft) das gebrannte Wasser der Feldblume, während Beifußwasser (“ein mueter aller kraejtter”) und Lilienwasser bei Geburtsverzögerungen bewirken, daß die Kreißende “zur stundt gepurt”. Auch ist Beifußwasser gut gegen Schmerzen nach der Geburt, die Plazenta kommt dann noch in der selben Stunde. Auch kann man in Wein und Wasser gesottenen Beifuß nehmen und in ein Säckchen warm auf den Leib legen. Ob es sich lang verziechen wellt, so soll man der Gebärenden einen Löffel Wein mit einem quintlin zerstoßenen weißen Augenstein zu trinken geben und das Säckchen auf dem Bauch liegen lassen. Der Schambereich soll mit einem wohlschmeckenden Veilchenöl bestrichen werden - wohl damit das Baby einen besseren Vorgeschmack auf’s Leben bekommt?


11 "was nicht tötet, härtet ab!"

Schauen wir uns zum Schluß noch einmal die Heilkünste unserer barbarischen Freunde an. Bei den alten Germanen ging das Leben etwas härter zu, was sich auch in den Heilmethoden äußert. Grundsätzlich ist die Ãœbertragung obiger Mittel nicht verkehrt, wenn man immer nur das primitivste, gewalttätigste und abergläubischste annimmt.

Wunden zählen zum Beispiel überhaupt erst ab der Länge eines Fingergliedes als Blutschlag, darunter gab es keine Maßeinheit. Blutungen werden gestillt mit Moos, Nesseln, Erdrasen oder Steinen als Druckpolster oder Tamponade, natürlich unter Absingen der Blutsegen. Kleinere Blutungen werden mit Spinnweben (dwergs-naet) gestillt, wobei die Adern durch die spinnenden Elben (Zwerge) vernäht werden sollen. Starke Blutungen stillt man mit dem Glüheisen oder Pechpflastern. Insgesamt unterscheiden die kampf- und wunderfahrenen Germanen zwölf verschiedene Wundarten: Die mit glatten, reinen Waffen zugefügten Schnittwunden; die frischen, neuen Wunden, die leicht heilbar waren; die verunreinigten, entzündeten Wunden; die mit vergifteten Pfeilen gesetzten Wunden (als Pfeilgift dient z.B. Skorpiongift und “Lüppewurz”); die tiefen Wunden mit lebensgefährlicher Blutung; infizierte, brandige, faule Wunden, die mit Schüttelfrost und Fieber einhergingen; Wunden, in denen die Würmer (Fliegenmaden) hausten und die durch Besprechung geheilt wurden; die Knochenwunden mit Knochensplitterung und solche mit Bloßlegung der Schädelknochen; die Bauchwunde war tödlich, wenn Gedärme verletzt waren (garwund). Man gab dem Verletzten daher Lauch- und Zwiebelwasser zu trinken oder Lauch zum Essen, und wenn aus der Bauchwunde dann der Knoblauchgeruch hervorkam, hatte man den Beweis! Auch wurde das Blut mit Schnee zusammen abgeschmeckt - wenn es nach Kot schmeckte, war auch hier die Diagnose gesichert!
Werkzeug
Werkzeug
Die Wunden wurden den Müttern und Frauen übergeben, die diese mit ihren zarten Fingern untersuchten und den Verletzten Speise und Erquickung brachten. Daher tauchen in vielen Zaubern die Beschwörungen für idisi, nornen oder saligen, die weisen Frauen, auf. Manche Heere hatten Feldscherer, welche die “Heilschauet” übernahmen, die Wunden besahen, die Blutgerinnsel “mit dem Hemde abfegten”, mit einer Drahtsonde die offenen Brüche auf Knochensplitter (“Beinschrott”) untersuchten und diese, wie auch Pfeile oder Fremdkörper, mit der Löffel- oder Spanzange entfernten, vergiftete Wunden aussogen, Hautfetzen mit der Schere abschnitten und mit Wasser oder Wein die Wundumgebung säuberten. Bei aufgeschlitzten Bäuchen stopften sie die hervorschauenden Eingeweide wieder hinein und hefteten die Wundränder mit Lanzetten zusammen (gedrehte Seide als Wundnaht war nur eines Königs würdig). Abgetrennte Gliedmaßen werden ganz abgehackt und durch Holzbeine ersetzt - man will zwar narbenübersäht, aber komplett in das Walhalla eingehen. Als Verband diente ein Pflaster mit Schorfkrautabsud und ausgekochtem Pflanzensaft. Man gab einen Wundtrank, rieb die Wunden mit Lebenssteinen zur Abwehr der Wundfieber bringenden Dämonen ein und besang die Wunde unter kreisenden Bewegungen des Fingers mit Heilsegen. Zur Wundheilung gehörte neben den Salben, Wurzeln, Kräutern und Steinen auch die “bequeme Ruh der Wunde und sanfte Hut” (Nibelungenlied). Knochenbrüche umpolstert man mit Baummoos oder Ulmenbast, bestreicht sie mit Gliedwal- oder Beinwalkräutern und schient sie mit biegsamen Buchenholzstückchen oder Weidenruten. Der Zwerg Moendul bettet in der Sage den verletzten und auf diese Weise versorgten Helden mit erhöhten Füßen ans Feuer (Schockprophylaxe).
Bei der Geburt denkt man sich den Beckengürtel als “Beinschloß”, das durch die Schloßkräuter (Cleomomilla, Alchemilla, Arnica, Meum, Mettram, Melissa, Artemisia etc.) und Zaubergesänge des Mitweibes geöffnet werden muß. Man machte Wacholderräucherungen und häufte Stroh und wohlriechende Kräuter unter einer Kuh- oder Ochsenhaut an, um der im knien Gebärenden die Arbeit zu erleichtern. Starb die Mutter bei der Geburt, so tötete man auch das Kind. Fehllagen versuchte man durch äußere Wendung geburtsfähig zu machen oder entband durch Kaiserschnitt. Die so entbundenen Kinder galten, ebenso wie z.B. mit Zähnen geborene, als elbische Glückskinder und wurden häufig zu Volkshelden. Sollte sich die Geburt verzögert haben, so zog man die Frau durch eine Astgabel… Mißgestaltete Kinder wurden ausgesetzt, Mißgeburten, die keinen menschlichen Kopf hatten, getötet und als “Alp” an “Unstätten”, deren Betreten Unglück brachte, vergraben.
Die Eihaut galt als Glücks- und Fruchtbarkeitssymbol und wurde als Kappe verwendet oder den Göttern geopfert. Die von einer Geburt genesende (“errettete” - unter solchen Umständen war eine Geburt häufig mit dem Tod des Kindes oder der Mutter verbunden) Frau bekam im Kindbett die “Nornengrütze” gereicht, die als Dank für die Bergerunen und Wehenkräuter stiftenden weisen Frauen galt.
Psychosen heilte man ähnlich radikal: Da bei den Schafen Tölpelhaftigkeit und die Drehkrankheit Zeichen eines Wurmes im Gehirn waren, schloß man für die Behandlung von Geisteskranken auf das Gleiche und versuchte, durch Setzen von Brandblasen am Kopf oder durch Aufbohren des Schädeldaches den Wurm herauszuziehen. Zumindest wurde dadurch aus dem “Wilden Mann” oder “Werwolf” ein armer Irrer. Als Allheilmittel galt die wärmespendende und dunkle Nachtalben verscheuchende Sonne (Odin/Wodan-Einauge), der die Germanen ihre Kranken und Siechen übergaben und der sich die Sterbenden empfahlen.
Shade and sweet water.
- Joszef Antall:
Bilder aus der Geschichte der europäischen Heilkunde und Pharmazie,
Corvina Kiado, Budapest 1981 - Anglicus Bartholomaeus :
Batman vppon Bartholome - His Booke de Proprietatibus Rerum 1582,
Georg-Olms-Verlag,
Hildesheim/New York 1976 - Gerhard Eis:
Altdeutsche Zaubersprüche,
Walter de Gruyter,
Berlin 1964 - Gerhard Eis:
Forschungen zur Fachprosa,
Francke-Verlag,
Berlin/München 1971 - Gerhard Eis:
Medizinische Fachprosam,
Rodopi,
Amsterdam 1982 - Gelêrter der arzenîe, ouch apotêker - Beitr. zur Wiss.-Geschichte:
Festschrift zum 70. Geburtstag von Willem F. Daems,
hrsg. von Gundolf Keil,
Pattensen,
Wellm 1982 - J. C. Sournia und Mitarbeiter:
Geschichte der Medizin,
Bd. 2 + 3,
Andreas & Andreas Verlag,
Salzburg 1980 - Heinrich Haeser:
Lehrbuch der Geschichte der Medicin,
Bd. 1,
Georg Olms Verlag,
Hildesheim/New York 1971 - Hildegardis Bingensis:
Ursachen und Behandlung der Krankheiten,
Karl F. Haug Verlag,
2. Auflage,
1980 - Höfler, Dr. M. Hofrat:
Handbuch der Geschichte der Medizin,
Bd. 1,
hrsg. von Dr. med. Max Neuburger & Dr. med Julius Pagel,
Verlag Gustav Fischer,
Jena 1902 - Gerhard Baader, Gundolf Keil:
Medizin im mittelalterlichen Abendland,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 1982 - Adplf Spamer:
Romanusbüchlein,
Akademie-Verlag,
Berlin 1958 - Studia neophilologica 36:
Der Millstätter Blutsegen in einer Memminger Handschrift,
Uppsala 1964

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