Mittelalterliche Schildformen

Autor: Gunther E. Biernat  Profil   Nachricht Bitte einloggen, um Gunther E. Biernat eine Nachricht zu schreiben.
Inhalt
1 Schildformen im frühen Mittelalter
2 Mittelalterliche Schilde in Europa
3 Wappenschilde und Heraldik
4 Entwicklung der Schildformen

1 Schildformen im frühen Mittelalter

Die Form des mittelalterlichen Schildes in Europa ist über die Jahrhunderte einem stetigen Wandlungsprozeß unterworfen. Die Funktion bestimmt die Form - dieser Leitsatz ist bis heute gültig und bestimmte bereits damals die vielfältigen Veränderungen der Schildformen, die sich aus den sich wandelnden Anforderungen an einen Schild ergaben.
Im frühen Mittelalter kommen hauptsächlich drei verschiedene Schildformen vor:

  • Nordische Vöker verwendeten fast ausschließlich den Rundschild (Fig. 1), zumeist einfach bemalt und insofern eine Vorform des Wappenschildes, als daß häufig komplette Stämme oder Gruppen gleichartig bemalte Schilde trugen. Der aus der Völkerwanderungszeit stammende Rundschild war aus Holz und wurde mit Leder bespannt. Weiteres Merkmal ist der Schildbuckel, der ein in die Mitte geschnittenes Loch bedeckt, wohinter sich der Schildgriff befand.

  • Schilde aus karolingischer und byzantinischer Zeit waren einfache Ovalschilde (Fig. 2), sehr stark gewölbt und mit verzierten Schildbuckeln versehen, die dem gleichen Zweck dienten, wie die Schildbuckel der Rundschilde. Zusätzlich waren Ovalschilde mit einem meist spiraligem Schildgespänge ausgestattet.

  • Im keltisch-germanischen Raum wurde in der Mehrzahl der Rechteckschild (Fig. 3) geführt, wahrscheinlich ein Ãœberbleibsel aus römischer Zeit. Im Gegensatz zum scutum, dem römischen Legionärsschild waren diese Rechteckschilde jedoch nicht oder nur wenig gewölbt und trugen neben dem Schildbuckel nur rudimentäre Verzierungen.

2 Mittelalterliche Schilde in Europa

Im elften Jahrhundert tritt ein grundsätzlicher Wandel der Schildformen auf. Wesentlichstes Element einer neuen Reitertaktik, die sich kurz nach dem Jahr 1000 wahrscheinlich im Kampf gegen die Mauren herausbildete, war das Anrennen von Roß und Reiter gegen einen Gegner. Hierbei wurde die in den rechten Arm eingelegte Lanze links am Hals des Pferdes vorbeigeführt auf den Gegner gerichtet, wodurch der Reiter seinem Gegner Front und linke Seite zuwandte. Angepasst an diese veränderte Kampfweise tauchen erstmals mandelförmige Langspitzschilde (Fig. 4 und 5) auf, die sich besonders zum Kampf zu Pferde eigneten.
Eine der frühsten Quellen zu Rüstungen und Waffen der Ritterzeit ist der Wandteppich von Bayeux, der die Eroberung Englands durch die Normannen (1066) schildert. Hier führen die Normannen den mandelförmigen Schild, wodurch diese neue Schildform heute häufig Normannenschild genannt wird - irreführenderweise, da die Angelsachsen bis auf wenige Ausnahmen genau die gleichen Schilde tragen. Die Schilde sind hier in der Regel kreuzförmig beschlagen oder mit Figuren und Ornamenten bemalt. Der ursprüngliche Langspitzschild hatte noch Schildbuckel und -gespänge, welche zum Teil bis in die Zeit der Wappenschilde als Schildbilder erhalten bleiben, so z.B. das Kettennetz von Navarra oder die Lilienhaspel im Wappen von Cleve.
Obwohl sich der Rundschild über alle Jahrhunderte hinweg hielt, entwickelte sich der mandelförmige Schild schnell zur beherrschenden Schildform des mitteleuropäischen Reiters, da er alle bei einem Lanzenritt gefährdeten Körperteile abdeckte. Die gewölbte Oberkante reichte hinauf bis zur Augenhöhe, die ausgezogene Spitze hinunter bis hin zum Knie, daß bei einem Anprall zwischen gegnerischen Rossen und Reitern besonders gefährdet war. Aber auch von Fußkämpfern wurde der Langspitzschild schnell übernommen, da er auch hier das sonst ungeschützte Bein (z.B. bei einem Ausfallschritt) deckte.
Der Schild selbst bestand aus einem konvex gewölbten Holzbrett (auf Grund der Härte zumeist Eichenholz), war teilweise mehr als einen Meter lang und wurde meistens mit Leder, machmal auch mit Leinen bespannt. Der Schildbuckel der mandelförmigen Schilde ist nur noch ein traditionelles Ãœberbleibsel, da der Schild mittlerweile über mehrere Griffschlaufen aus Lederriemen gehalten wurde und bei manchen Konstruktionen somit verschiedene Halteweisen für verschiedene Kampfsituationen erlaubte (z.B. Kampf zu Pferde oder abgesessener Kampf). Die Griffe waren so angebracht, daß der Unterarm schräg aufwärts zum Gesicht des Trägers wies und waren aus umgeschlagenem Leder genäht. Die häufig in Vollwappen zu findende Linksneigung eines Schildes ist darauf zurückzuführen, daß ein an den Griffschlaufen an die Wand gehängter Schild ebenfalls nach links geneigt ist.
Die Griffe wurden von der Vorderseite des Schildes her befestigt, hierzu wurden von der Sichtfläche des Schildes aus nietenartige Nägel eingeschlagen. In einigen Fällen wurden die sichtbaren Nagelköpfe in das Wappenbild integriert und mit Rosetten oder anderen Ornamenten versehen, meist jedoch wurden sie vor der Lederbespannung des Schildes eingesetzt oder einfach übermalt. Im ritterlichen Turnier galt es als kunstvolles Ziel, die Lanze in das von den Nieten der Griff- und Ellenbogenschlaufe gebildete Rechteck zu stoßen. Brach dabei die Lanze, so wurde dies als weiterer Beweis der Fähigkeiten eines Reiters angesehen, da dies als Zeichen galt, daß die Lanzenspietze genau im Ziel saß und der Stroß außerdem mit großer Kraft ausgeführt worden war. Zum Schutz gegen die Wucht eines Stoßes wurde des öfteren mit kurzen Stiften ein Armpolster von hinten auf den Schild genagelt, teilweise nur zum Schutz der Hand, in anderen Fällen zum Schutz des gesamten Unterarmes von Hand bis Ellenbogen.
Eine weitere Neuerung war die Schildfessel (siehe Bild), ein längerer Riemen, der während des Kampfes um den Nacken geschlungen wurde. Die Schildfessel bestand in der Regel aus zwei Teilen, die mit einer Schnalle verbunden waren, so daß sie genau auf die Körpermaße des Trägers angepasst werden konnte. So erlaubte die Schildfessel insbesondere Reitern bei angewinkeltem Unterarm und vorgeschobener Schulter eine wenig behindernde Halteweise des Schildes, dieser bildete so mit dem Körper des Trägers eine feste Einheit.
Im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts änderte sich die Schildform insofern, als die Oberkante des Schildes mehr und mehr abflachte und der Schild sich somit zu einer Dreiecksform mit leicht geschweiften Seiten wandelte (Fig. 7). Diese Veränderung läßt sich auf mehrere Gründe zurückführen. Zum einen ist hier das Streben nach Gewichtserleichterung und besserer Handhabung zu nennen, was außerdem zu einer ständigen Verkleinerung der Schilde führte. Zum anderen ist die weitere Formänderung mit dem sich verbessernden primären Körperschutz zu begründen. So entstanden langsam Beinschienen und Kniekacheln, wodurch die überlange Spitze des Schildes entfallen konnte. Weiterhin änderte sich die Form des Helmes, der Topfhelm entstand und übernahm die Schutzfunktion des oberen Schildbereiches.
Bereits ab 1200 entwickelten sich neben den dreieckigen Reiterschilden, wohl aus dem böhmischen Raum her, die sog. Pavesen (Fig. 10 und 16), wahrscheinlich abgeleitet von der Stadt Pavia. Wesentliche Merkmale der Pavese sind die rechteckige Form und eine in Längsrichtung verlaufende Wölbung, hinter der, wie bei frühen Rundschilden hinter dem Schildbuckel, ein Tragegriff angebracht war. Pavesen wurden ursprünglich ausschließlich von Fußsoldaten getragen und sind in sehr verschiedenen Größen überliefert. Kleinere Pavesen waren zwischen 60 und 130 Zentimetern hoch und wurden als normale Schilde getragen. In der Regel war hier auf der Rückseite ein H-förmiger Griff angebracht, zusätzlich gab es links und rechts des Griffes Trageriemen, wodurch die Pavese auf dem Rücken getragen werden konnte. Erstaunlicherweise wurden Pavesen in kleineren Größen auch von böhmischen, polnischen und littauischen Reitern geführt, im 14. und 15. Jahrhundert werden sie teilweise auch vom Deutschen Orden benutzt.
Neben den Pavesen, die im Fußkampf als Handschild gebraucht wurden, kam noch eine zweite Art der Pavesen auf, die zwischen einem und zwei Metern hoch war. Die großen Pavesen wurden mittels an der Unterseite dieser Schilde angebrachten Dornen oder Spitzen im Boden verankert, so daß sie als tragbare Mauer gesehen werden konnten. Im Laufe der Entwicklung wurden solche Pavesen dann auch mit Sehschlitzen und Schießscharten versehen und von speziell hierzu eingeteilten Soldaten aufgestellt, mit integrierten Stangen nach hinten abgestützt und durch Haken miteinander verbunden, so daß eine geschlossene Schutzwehr entstand. Diese auch »Setztartschen«, »Wehrmäntel« oder »Tarras« genannten Pavesen bestanden aus miteinander verdübelten und verleimten Holzbrettern und waren fast immer, wie die meisten anderen Schilde auch, mit Leder bezogen und bemalt. Obwohl in militärischen Abhandlungen des 15. Jahrhunderts auch Setztartschen mit gen Feind gerichteten integrierten Speeren vorgeschlagen werden, sind solche Setzschilde nicht oder höchstens in Einzelfällen zum Einsatz gekommen.


3 Wappenschilde und Heraldik

Mit dem Aufkommen der frühen Topfhelme (siehe Bild) wurde es für Freund und Feind unmöglich gemacht, einen Kämpfer zu erkennen, da das Gesicht hinter der Frontplatte und später dem Visier verborgen lag. So ist es in erster Linie diese Entwicklung, die zur Entstehung der Heraldik führte, denn nun mußte ein Kämpfer anderweitig kenntlich gemacht werden. Die bereits übliche Bemalung der Schilde wurde verfeinert und entwickelte sich, genau wie die aufkommende Helmzier zum Kennzeichen des adligen Kriegers und später zum Standeszeichen und Familienerbgut. Somit waren die wesentlichsten Elemente eines Wappens, Wappenschild und Helmzier, entstanden.
Leider sind von den Tausenden von mittelalterlichen Schilden, die es einst gegeben hat, nur rund 40 Stück erhalten. 16 Schilde werden in der Universitätsbibliothek Marburg aufbewahrt, der älteste stammt aus der Zeit um 1225 und gehörte Landgraf Konrad von Thürigen (gestorben 1241). Interessant ist hierbei vor allem die Art der Applikation des Schildbildes. Häufig wurden Schildbilder aus Kreidegrund mit einer Spritztube aufgetragen, eine Technik die Engobagetechnik genannt wird und sich im 13. Jahrhundert in ganz Europa als Ziertechnik für Schildbilder durchsetzte. Auf dem thüringischen Schild wurde der Wappenlöwe jedoch zunächst als Lederapplikation aufgebracht, bevor der Schild, wiederum mit Kreidegrund, weiter verziert wurde. Auch die Rückseite dieses Schildes war bemalt, auf einer Goldgrundierung war hier eine Turnierszene aufgebracht, leider ist diese Bemalung jedoch nur noch in Ansätzen vorhanden. Wahrscheinlich um 1239 wurde ein zusätzliches Element in das Schildbild gebracht. Konrad von Thüringen war in seinen letzten beiden Lebensjahren Hochmeister des Deutschen Ordens. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen wurde nachträglich ein kleiner Schild mit dem Wappen des Deutschen Ordens auf das bestehende Schildbild aufgemalt.
Ebenfalls zur Mitte des 13. Jahrhunderts bildet sich in Spanien eine eigene Schildform aus, die Halbrundform (Fig. 8). Dieser Schild hatte parallel oder auch nahezu parallel verlaufende Seiten und wurde von einem Halbkreis abgeschlossen, so daß sein Umriß einem U ähnelte. Dieser Schild erfreut sich wegen seiner guten Raumaufteilungsmöglichkeiten bei Heraldikern bis heute großer Beliebtheit, was auch gemeinhin als Grund für die Entstehung dieser Form angesehen wird.
Im übrigen Europa entsteht um 1300 eine Schildform, bei der sich die Seiten des Schildes stark aufbauchen, die Oberkante ist gerade. Diese Schildform ist die typische Form der Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse, Manessische Handschrift) und wird daher auch als Manesse- oder Minneschild (Fig. 12) bezeichnet. Diese Form ist bereits wesentlich kleiner als die bis Mitte des 13. Jahrhunderts verbreiteten Langspitzschilde und ist der vorerst letzte reine Dreieckschild.
Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts verbreitet sich eine neue Schildform, die Tartsche (Fig. 15). Die Herkunft des Begriffes Tartsche ist nicht einheitlich geklärt, es werden die unterschiedlichsten Erklärungsmöglichkeiten gegeben, die wahrscheinlichsten Herleitungen sind jedoch das arabische Wort »darâka« (Schild) und das slawische Wort »tarcica« (Brett), insbesondere, da sich die Tartsche entwicklungsmäßig am ehesten von einem slawischen Rechteckschild herleiten läßt. Die Tartsche hatte einen ungefähr rechteckigen Umriß (obwohl sehr frühe Tartschen noch eher oval waren) und fiel durch einen Einschnitt an der rechten oberen Ecke, die sog. Speerruhe, auf. In die Speerruhe wurde die Lanze eingelegt und bildete zusammen mit der Brechscheibe der Lanze eine vollkommen geschlossene Fläche.
Eine Sonderform der Tartsche für die leichte Reiterei war die sogenannte »Ungarische Tartsche« (Fig. 18 und 22). Diese Tartsche hatte eine rechteckige Grundform, aus Sicht des Trägers war jedoch von Körpermitte zu linker Schulter die obere Kante spitz zugeschnitten und hatte ebenfalls die integrierte Speerruhe. Ungarische Tartschen waren im Gegensatz zu den übrigen Tartschen konvex gewölbt, die ‘reguläre’ Tartsche war in Längs- und Querrichtung konkav gehöhlt. Auf Grund dieser Form eignete sie sich besonder gut, um die gegnerische Lanzenspitze ‘einzufangen’ und zu brechen und wurde somit gern als Turnerschild geführt. Mitte des 15. Jahrhunderts hatte sich für die Tartsche eine Beriemung entwickelt, die es dem Träger erlaubte, den Schild nur mit dem Unterarm zu führen. Hierzu wurde der Unterarm durch zwei in V-Form angeordnete Riemen gesteckt, wodurch die linke Hand zusätzlich die Zügel führen konnte.
Im Laufe des 14. Jahrhundert nahm das Tragen von einzelnen Panzerplatten zu und entlastete somit den Schild in seiner Schutzfunktion. Dementsprechend waren Tartschen eher klein gehalten, eine um 1400 anzusiedelnde Tartsche in der Universität Marburg ist in ihren Abmessungen z.B. nur noch 49,6 * 36,8 cm groß. Im Gegensatz zu allen bisherigen Schilden wurden die meisten Tartschen mit einem vollen Wappen bemalt (Fig. 15), inklusive Schild, Helm und Helmzier, Spruchbändern und anderen Elementen. Im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts wurden die Schildflächen durch Aufwölbung einzelner Bereiche, Gratung und Auszackung stark verformt (Fig. 17, 20 und 21) und beeinflußten mit ihrem Aussehen spätere Kartuschen der Rokoko- und Barockzeit.
Der immer ausgeprägtere Gebrauch von kompletten Harnischen machte den Schild schließlich praktisch überflüssig. Er wurde immer weiter verkleinert und fand sich gegen Ende des 15. und das gesamte 16. Jahrhundert über nur noch als »Stechmantel« genanntes, in den Harnisch integriertes Teilstück wieder oder wurde als »Stechtartsche« auf den Harnisch aufgebunden.


4 Entwicklung der Schildformen

  1. Nordischer Rundschild
  2. Ovalschild (karolingisch)
  3. Rechteckschild (keltisch-germanisch)
  4. Langspitzschild (frühe Form)
  5. Langspitzschild
  6. Rechteckschild (bretonisch)
  7. Langspitzschild (Vorläufer des Dreieckschildes)
  8. Spanischer Halbrundschild (U-Form)
  9. Dreieckschild
  10. Pavese
  11. Dreieckschild
  12. Dreieckschild (Manesseform)
  13. Dreieckschild (Manesseform)
  14. Dreieckschild
  15. Ovaltartsche mit Speerruhe
  16. Pavese
  17. Tartsche
  18. Ungarische Tartsche
  19. Italienische Ovaltartsche
  20. Tartsche (Nierenform)
  21. Tartsche (gegratet)
  22. Ungarische Tartsche
  23. Rundschild (Renaissance)


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