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André Schulze

Mittelalterliche Kampfesweisen - Das lange Schwert

€ 39,90 - Philipp von Zabern (2008)
3-8053-3652-7

"Moritat zum Langen Schwert"

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Moritat zum Langen Schwert

»Die hohe Schule der mittelalterlichen Kampfkunst nach Talhoffers Fechtbuch. Erstmals mit farbigen Reproduktionen der Tafeln des berühmten Codex von 1467«
So beginnt die Beschreibung des Verlags Philipp von Zabern zum Buch »Mittelalterliche Kampfesweisen« von André Schulze.

Betrachten wir zunächst den zweiten Teil dieser Aussage, die Reproduktionen der Farbtafeln.
Die abgebildeten Tafeln des 1467er Codex sind von einer sehr guten Qualität und in ansprechender Größe.
Darüber hinaus ist der sehr erfreuliche Fakt zu bemerken, daß sie im Gegensatz zu den meisten bislang verfügbaren Versionen sowohl die Zeichnungen als auch den dazugehörigen Text abbilden.

Leider schwindet der gute Eindruck, den das Buch damit erzeugt, rapide, sobald man das Augenmerk auf die weiteren Inhalte richtet.
Bereits auf dem Cover prangt ein Foto aus dem Technikteil, das die beiden Autoren beim Posieren in einer mehr als fragwürdigen Bekleidung zeigt.
Manch einer mag sich an Kaufhausleggins zu Winterstiefeln und unförmigen Gambesons nicht stören, trotzdem muß die Frage erlaubt sein, warum man für die Bilder eines Buchs über historische Kampfkunst in einer historisierenden Kleidung posiert, die nichts mit der Mode der damaligen Zeit gemein hat.
Wenn der Anspruch, mittelalterliche Kleidung der Zeit um 1467 zu zeigen, an dieser Stelle nicht gegeben war, stellt sich die Frage, warum nicht direkt zu moderner Sportkleidung gegriffen wurde.
Ein Punkt, der speziell dann erschwert zum Tragen kommt, wenn durch die unförmigen Arme der Gambesons die Handhaltung auf den Bildern nicht mehr erkennbar ist.

Dieser Umgang mit den historischen Quellen setzt sich leider in der Arbeit weiter fort.
Die Einleitung, die zunächst mit schönen Bildquellen und Texten den sozialen Hintergrund von Gottesurteilen Gerichtskämpfen und bürgerlicher Fechtkunst beleuchtet, gerät ins Absurde, sobald der Autor allen Ernstes die europäische Fechtkunst von indischem Tempeltanz ableitet.
Die Herleitung einer ßberlieferungskette von den Tempeltänzerinnen Indiens über die Moriskentänzer und die Kreuzritter zu den Fechtschulen ist hierbei ebenso haltlos wie skurril, der Grundgedanke, daß in Europa keine eigenen Bewegungsmuster einer Kampfkunst entstanden, und diese erst mit den Kreuzrittern, unter denen ja bereits Profikrieger - Ritter eben - zogen, importiert werden mußte, vollkommen unverständlich.

Kommen wir zum Kern des Buches, dem Technikteil.
Um hier die Kritik zu verstehen, muß man sich den Kampfkunsthintergrund sowohl von Talhoffer als auch von André Schulze vor Augen halten.
André Schulze betreibt seit mehreren Jahren diverse asiatische Kampfsportarten.
Talhoffer lernte und stand in der Tradition Lichtenauers, wie viele andere überlieferte Fechtmeister ebenfalls.

Und hier kam es zu dem großen Dilemma des Buchs:
André Schulze sah Talhoffer isoliert, als Erschaffer einer eigenen Kunst, und versuchte, mit seiner asiatisch geprägten Erfahrung Techniken zu erfassen, die nur einen Ausschnitt einer europäischen Tradition darstellen.
Der Effekt war, daß ihm auf der einen Seite die Interpretation dargestellter grundlegender Techniken relativ gut gelang, sofern diese aus sich selbst heraus erklärt wurden. Bei weiterführenden Techniken waren ihm jedoch viele Begriffe und Grundlagen fremd, und die Stellen, bei denen Talhoffer Grundwissen aus der Lichtenauerschule für die abgebildeten Techniken vorraussetze, blieben ein Rätsel.
Es ist einleuchtend, daß jemand, dem die z.B. Bedeutung des Begriffs »Zornort« nicht geläufig ist, mit der Angabe »aus dem Zornort fechte...« nichts anfangen kann, und daher auch die weiterführende Technik, die an dieser Stelle thematisiert wird, nicht korrekt interpretiert werden kann, da der Ansatz selbst bereits falsch sein wird.

Wohlgemerkt ist dies kein Einzelfall, dies ist ein Beispiel für den grundlegenden Fehler, der sich durch das gesamte Buch zieht.
Talhoffer hat keine Fechtkunst selbst erfunden. Er hat die bestehende nicht einmal groß verändert oder erweitert.
Er war eindeutig ein Fechter, der nach der Tradition Lichtenauers, dessen Verse er inhaltlich fast identisch, nur in der Wortwahl verfälscht, in seinem Buch wiedergibt.
Jeder Versuch, die niedergeschriebenen Techniken aus Talhoffers Codex ohne den Hintergrund der Lichtenauer Tradition zu erfassen, ohne die teilweise spärlichen Angaben mit den Inhalten anderer Fechtbücher zu vergleichen, kann keine gelungene Interpretation hervorbringen.
Der Autor dachte, diesen Weg beschreiten zu können, und scheiterte dementsprechend.

Man kann ihm zugute halten, daß er diesen Fehler nun, wie er verlauten ließ, einsieht und für die Folgebände eine ßnderung anstrebt, für das vorliegende Buch jedoch hilft dies nicht mehr.
Besonders enttäuschend wird dieser Umstand dadurch, daß der Zabern Verlag bis dato mit Veröffentlichungen von einem Niveau, die weit über dem hier vorliegenden liegen, von sich reden machte.
Man darf nur hoffen, daß sich Verlag und Autor besinnen und die nächsten Bände mit fundierter Recherche und strikter inhaltlicher Korrektur zu der Qualität führen, die man ansonsten unter dem Namen Zabern gewohnt ist.